Projekt: Mensch 2.0

Und Zarathustra sprach also zum Volke:
Ich lehre euch den Übermenschen. Der Mensch ist etwas, das überwunden werden soll. Was habt ihr getan, ihn zu überwinden?
Alle Wesen bisher schufen etwas über sich hinaus: und ihr wollt die Ebbe dieser großen Flut sein und lieber noch zum Tiere zurückgehn, als den Menschen überwinden?

Euer Wille sage: der Übermensch sei der Sinn der Erde!

So schrieb Nietzsche 1883 in der Vorrede zu „Also sprach Zarathustra“. 125 Jahre später formulieren eine ganze Flut von Ratgebern, Selfmanagement-Büchern und -Seminaren und Parteiprogramme das Anforderungsprofil des (post-)modernen Menschen. Kreativ, eigenverantwortlich, selbstbewusst, durchsetzungsfähig, teamfähig, flexibel, pragmatisch […] arbeitet er, zugleich Produzent und Produkt, beständig an der Optimierung seines Selbst. Anders als Nietzsche, der sich an der (christlichen) Religion und ihren anthropologischen Implikationen abarbeitet, spielt die Religion in diesen Texten und Praktiken scheinbar keine Rolle mehr. Vielmehr scheint der ökonomische Diskurs die zuvor der Religion vorbehaltenen Fragen nach Sinnstiftung und Selbstverwirklichung vollständig absorbiert zu haben. Im Paradigma der „Ich-AG“ verschmilzt der Begriff des postmodernen Subjekts mit dem zeitgenössischen ökonomischen Imperativ auf dem Fundament des Selbstverwirklichungsideals von 1968.

Projekt Mensch 2.0 versucht die – im Alltag nicht mehr stattfindende – Auseinandersetzung mit der Religion in einen theatralen Kontext zu transportieren. Es konfrontiert auf der Folie des Zarathustra-Textes Formen des Self-Management-Seminars mit der christlichen Liturgie und den soziotechnischen Plattformen des Webs 2.0. Die so entstehenden theatralischen Versuchsanordnungen ermöglichen Fragen nach den Formen von Gemeinschaft und nach Elementen des Sakralen und der Produktion von Wahrheit in einer vermeintlich individualisierten und ökonomisierten Gesellschaft.

Inwiefern beeinflussen die benutzten Medientechnologien die Arbeit und Kommunikation und fürderhin die alltäglichen Verhaltensweisen der Menschen?

Zu diesem Zweck bedarf es eines Raumes, der selbst Schauplatz der Wandlung von Arbeits- und Kommunikationsweisen, sowie der Produktion von Wahrheit ist. Ein konventioneller Theaterraum kann dies nicht leisten. Im Institut für Arbeitswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum befindet sich das sogenannte Moderationslabor, das neue Formen des Lehrens, Lernens und Arbeitens erforschen und ermöglichen soll. Multimedial unterstützt und mit einem wandfüllenden Touchscreen ausgestattet befindet sich dieser Raum auf der Schwelle zwischen profanem Seminarraum und auratisch aufgeladener Kirche der Informationstechnologie. In der Probenarbeit gilt es für die Darsteller, sich diesen Raum anzueignen und Möglichkeiten zu einer funktionalen Umdefininition des Raumes auszuloten. Die dramaturgische und inszenatorische Arbeit soll, zusammen mit den Darstellern, mit den Mitteln des Webs 2.0 (Wikis, Blogs) multimedial dokumentiert und in die Inszenierung integriert werden. Die Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Entstehung ist somit maßgeblicher Bestandteil der Inszenierung.

Beteilige:
Martin Degeling, Katrin Ebmeier, Henning Gebhard, Anna-Lena Klapdor, Kristin Naujokat, Lisa Overmann, Almut Pape, Jascha Sommer, Jasmin Stommel, Manuel Zauner.

Beratung:
Dominik Gerland, Patricia Lenz, Klaas Werner

Termine:
Premiere: 29.10.2009, 21 Uhr
Weitere Vorstellungen: 31.10., 01.11., 08.11., 12.11., 18.11., 03.12., jeweils 20 Uhr

Spielort:
Moderationslabor der Arbeitswissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum, NB 02/33

Eine Anna Kpok Produktion. Mit freundlicher Unterstützung durch das Institut für Arbeitswissenschaft, den AStA und das Institut für Theaterwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum, sowie den [fr-tw]